Nach bisheriger Rechtslage können (bzw. müssen) vorsteuerabzugsberechtigte Unternehmer die Umsatzsteuer aus Eingangsrechnungen als Vorsteuer immer in dem Voranmeldungszeitraum abziehen, in dem die Leistung ausgeführt wurde und sie die entsprechende Rechnung erhalten haben. Es kommt nicht darauf an, wann die Rechnung bezahlt wurde. Dabei spielt es keine Rolle, ob der Rechnungsaussteller die Umsatzsteuer nach „vereinbarten Entgelten“ (Soll-Besteuerung) oder nach „vereinnahmten Entgelten“ (Ist-Besteuerung) berechnet.
Diese Rechtslage wird zuweilen bewusst ausgenutzt. Von Interesse ist insoweit der Sachverhalt, der dem BFH-Urteil vom 12.7.2023 (XI R 5/21) zugrunde lag. Der Kläger ist Unternehmer und besteuert seine Umsätze nach vereinnahmten Entgelten. Im Sommer 2015 fand beim Kläger eine Außenprüfung statt. Der Prüferin fiel dabei auf, dass der Kläger als Geschäftsführer verschiedener Firmen unternehmerisch tätig war. Er erteilte diesen Firmen in erheblichem Umfang Rechnungen mit gesondertem Ausweis von Umsatzsteuer. Die Rechnungen wurden von den Firmen jedoch nur über Verrechnungskonten gebucht und über mehrere Jahre hinweg nicht bezahlt. Die Firmen konnten die Vorsteuer abziehen, während der Leistende die Umsatzsteuer mangels Vereinnahmung erst viel später ans Finanzamt zahlen musste. Letztlich hat der BFH das Ergebnis mit Blick auf die nationale Regelung gerechtfertigt. Fazit: Die deutsche Rechtslage ermöglicht eine Vorfinanzierung zu Lasten des Fiskus, wenn der Leistende ein Ist-Versteuerer ist.
Die deutsche Rechtslage steht allerdings nicht mit dem Unionsrecht im Einklang. Bereits im Jahre 2022 hat der Europäische Gerichtshof entschieden, dass der Leistungsempfänger den Vorsteuerabzug erst zu dem Zeitpunkt bzw. in dem Zeitraum vornehmen darf, in dem der Leistungserbringer das Entgelt vereinnahmt hat, wenn dieser als Ist-Versteuer gilt (EuGH-Urteil vom 10.2.2022, C-9/20).
AKTUELL: Der Zeitpunkt des Vorsteuerabzuges wird im Gesetz geregelt, allerdings erst ab dem 1.1.2028 und nicht – wie zunächst vorgesehen – bereits ab dem 1.1.2026. Dabei wird zwischen den verschiedenen möglichen Zeitpunkten eines Vorsteuerabzuges (aus der Rechnung eines Soll-Versteuerers, aus der Rechnung eines Ist-Versteuerers oder aus einer Anzahlungsrechnung) unterschieden. Das heißt: Bei der Rechnung eines Ist-Versteuerers kann der Vorsteuerabzug künftig erst in dem Voranmeldungszeitraum vorgenommen werden, in dem die Rechnung beglichen wurde (§ 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG, geändert durch das „Jahressteuergesetz 2024“; Zustimmung des Bundesrats am 22.11.2024). Die Neuregelung gilt für Rechnungen, die ab dem 1.1.2028 ausgestellt werden (§ 27 Abs. 41 UStG).
- Derzeit ist für den Rechnungsempfänger nicht erkennbar, ob sein Vertragspartner nach vereinnahmten oder nach vereinbarten Entgelten abrechnet und wann dieser die Umsatzsteuer entrichtet. Ab dem 1.1.2028 muss in den Rechnungen von Ist-Versteuerern folgende Pflichtangabe enthalten sein: „Versteuerung nach vereinnahmten Entgelten“ (§ 14 Abs. 4 Nr. 6a UStG). So kann der Rechnungsempfänger erkennen, dass er den Vorsteuerabzug erst mit Bezahlung der Rechnung vornehmen kann.
- Die neue Regelung wird sich nachteilig auswirken für vorsteuerabzugsberechtigte Unternehmer, die Leistungen von einem Ist-Versteuerer beziehen. In diesem Fall können sie den Vorsteuerabzug erst in dem Voranmeldungszeitraum vornehmen, in dem sie die Rechnung bezahlt haben.