Betriebsveräußerung: Vorsicht Falle Einmal-Steuerermäßigung

Wer seinen Betrieb, Teilbetrieb oder Mitunternehmeranteil veräußert, kann für den Veräußerungsgewinn unter bestimmten Voraussetzungen einen Freibetrag und einen ermäßigten Steuersatz beantragen (§§ 16, 34 Abs. 3 EStG). Der ermäßigte Steuersatz beträgt 56 Prozent des durchschnittlichen Steuersatzes, mindestens 14 Prozent. Umgangssprachlich spricht man auch vom „halben Steuersatz“ auf den Veräußerungsgewinn, was der Sache zwar nahe kommt, aber eben nicht ganz korrekt ist.

Der ermäßigte Steuersatz wird nur dann gewährt, wenn man das 55. Lebensjahr vollendet hat oder dauernd berufsunfähig geworden ist. Die Vergünstigung wird laut Gesetz nur auf Antrag gewährt. Und ganz wichtig: Die Vergünstigung des ermäßigten Steuersatzes kann man nur einmal im Leben in Anspruch nehmen, gerechnet ab 2001.

Der Bundesfinanzhof hat im Jahre 2021 entschieden, dass die antragsgebundene Steuervergünstigung des § 34 Abs. 3 EStG, die der Steuerpflichtige nur einmal im Leben in Anspruch nehmen kann, auch dann verbraucht ist, wenn das Finanzamt die Vergünstigung zu Unrecht gewährt hat. Dies gilt selbst dann, wenn dies ohne Antrag des Steuerpflichtigen geschieht und selbst wenn ein Betrag begünstigt besteuert wird, bei dem es sich tatsächlich nicht um einen Veräußerungsgewinn handelt. Etwas anderes gelte nach den Grundsätzen von Treu und Glauben nur dann, wenn die rechtsirrige Gewährung der Vergünstigung in dem früheren Bescheid für den Steuerpflichtigen angesichts der geringen Höhe der Vergünstigung und wegen des Fehlens eines Hinweises des Finanzamts nicht erkennbar war (BFH-Urteil vom 28.9.2021, VIII R 2/19).

Das BFH-Urteil wird damit sowohl für die Steuerpflichtigen als auch für ihre Berater zu einer riesigen Gefahr. Um es deutlich zu sagen: Auch wenn die Steuervergünstigung gar nicht beantragt, aber dennoch vom Finanzamt gewährt wird, gilt sie als „verbraucht“ und steht für einen späteren – vielleicht viel höheren Veräußerungsgewinn – nicht mehr zur Verfügung. Das ist kurios!

AKTUELL hat das Landgericht Lübeck zur Freude eines gebeutelten Mandanten, aber zum Leidwesen seines Steuerberaters entschieden, dass Letzterer quasi hellseherische Fähigkeiten hätte haben und das oben genannten BFH-Urteil hätte vorausahnen müssen (LG Lübeck, Urteil vom 11.1.2024, 15 O 72/23).

  • Der Fall: Ein Steuerberater hatte im Jahr 2006 einen Steuerbescheid für einen Mandanten, einen Arzt, geprüft. Das Finanzamt hatte den erwähnten ermäßigten Steuersatz, der nur einmal im Leben genutzt werden kann, für einen „Veräußerungsgewinn“ angewendet. Allerdings hatte der Mandant den ermäßigten Steuersatz gar nicht beantragt. Und es handelte sich nicht einmal um einen Veräußerungsgewinn, sondern lediglich um eine Nachzahlung der Kassenärztlichen Vereinigung. Der Steuerberater empfahl, nicht gegen den Bescheid vorzugehen, da sonst eine noch höhere Steuerzahlung drohe. Der Mandant folgte diesem Rat. Zehn Jahre später – in 2016 – beantragte der Arzt den ermäßigten Steuersatz, und zwar dieses Mal für den „echten“ Gewinn aus einer Praxisveräußerung. Doch das Finanzamt lehnte die Gewährung der Vergünstigung ab. Der ermäßigte Steuersatz könne nur einmal im Leben beansprucht werden und sei bereits verbraucht.
  • Der Arzt verlangte nun Schadenersatz von seinem Steuerberater. Dieser hätte ihm empfehlen müssen, gegen den damaligen Bescheid vorzugehen. Anders sieht es der Steuerberater: Er habe ja nicht wissen können, dass der ermäßigte Steuersatz auch dann verbraucht ist, wenn dieser gar nicht beantragt wurde. Gerichtsentscheidungen habe es dazu noch nicht gegeben.
  • Das Gericht gab dem Mandanten Recht. Der Steuerberater hätte ihn darauf hinweisen müssen, dass der vergünstigte Steuersatz nur einmal im Leben beansprucht werden kann. Dem Steuerberater sei zwar zuzugeben, dass es Rechtsprechung zu dem hier dargestellten Problem vor dem Urteil des BFH vom 28.9.2021 nicht gab. Doch § 34 Abs. 3 S. 4 EStG regele eindeutig, dass der Steuerpflichtige die Ermäßigung nur einmal im Leben beanspruchen kann. Darauf hätte der Steuerberater hinweisen müssen.

 

Wer sich die Möglichkeit vorbehalten will, die Steuervergünstigung für einen Veräußerungsgewinn in einem späteren Jahr in Anspruch zu nehmen, muss den Steuerbescheid anfechten, in der ihm die Vergünstigung zu Unrecht gewährt worden ist. Eigentlich wäre ein Einspruch, der auf eine Steuererhöhung gerichtet ist, unzulässig. In diesem Ausnahmefall ist er aber doch zulässig. Das hier vorgestellte Urteil ist nicht rechtskräftig; derzeit läuft das Berufungsverfahren beim Oberlandesgericht in Schleswig (Az. 17 U 4/24).