Im Rahmen der Steuererklärung übernimmt das Finanzamt automatisiert zahlreiche Daten, die ihm von bestimmten Unternehmen und Institutionen digital mitgeteilt werden (§ 93c AO). Das sind insbesondere die Daten der Arbeitgeber und der Sozialversicherungsträger. Die übermittelten Werte werden auch als „eDaten“ bezeichnet. Die Datenübertragung läuft aber nicht immer reibungslos. Einmal werden die Daten zu spät übertragen und liegen bei der Veranlagung noch gar nicht vor. Ein anderes Mal sind die zunächst übermittelten Daten fehlerhaft und werden später geändert. Das kann zunächst zu falschen Steuerbescheiden führen.
Für diese Fälle hat der Gesetzgeber der Finanzverwaltung die Möglichkeit eingeräumt, die fehlerhaften Steuerbescheide ohne weitere Voraussetzungen nach § 175b AO zu ändern. Absatz 1 der Vorschrift lautet: „Ein Steuerbescheid ist aufzuheben oder zu ändern, soweit von der mitteilungspflichtigen Stelle an die Finanzbehörden übermittelte Daten im Sinne des § 93c bei der Steuerfestsetzung nicht oder nicht zutreffend berücksichtigt wurden.“
Aktuell hat der Bundesfinanzhof entschieden, dass eine Änderung nach § 175b Abs. 1 AO auch dann zulässig ist, wenn der Veranlagungsfehler selbst bei Vorlage einer Papierbescheinigung aufgetreten wäre und das Finanzamt den Vorgang durchaus umfassend rechtlich geprüft hat (BFH-Urteil vom 20.2.2024, IX R 20/23).
Der Fall: Der Kläger erhielt im Kalenderjahr 2018 eine Abfindung in Höhe von 9.000 EUR. Diese war laut Lohnsteuerbescheinigung, die der Arbeitgeber der Finanzverwaltung digital übermittelt hatte, im Bruttoarbeitslohn enthalten. Der Kläger trug die Abfindung in seiner Einkommensteuererklärung zwar zutreffend ein, erklärte jedoch hinsichtlich des Bruttoarbeitslohns einen um 9.000 EUR gekürzten Betrag.
Das Finanzamt übernahm die Eintragungen trotz eingehender Prüfung, was im Ergebnis dazu führte, dass die Abfindung – zunächst – unbesteuert blieb, denn der Bruttoarbeitslohn hätte in der entsprechenden Kennziffer der Steuererklärung in voller Höhe, also inklusive der Abfindung, eingetragen werden müssen. Erst später, das heißt fast zwei Jahre nach Ergehen des Einkommensteuerbescheides, erkannte das Finanzamt den Fehler und erließ einen geänderten Steuerbescheid. Hiergegen wandte sich der Kläger ohne Erfolg.
Begründung: Die Änderungsbefugnis des Finanzamts ergibt sich aus § 175b Abs. 1 AO. Die vom Arbeitgeber übermittelten elektronischen Lohnsteuerbescheinigungen stellen Daten im Sinne des § 93c AO dar, die bei der ursprünglichen Steuerfestsetzung nicht zutreffend berücksichtigt worden seien. Unerheblich ist, worauf die unzutreffende Berücksichtigung der übermittelten Daten durch die Finanzbehörde zurückzuführen ist. Es kommt weder auf eine Verletzung der Mitwirkungspflichten durch den Steuerpflichtigen, einen Schreib- oder Rechenfehler des Steuerpflichtigen noch auf ein mechanisches Versehen der Finanzbehörde nach § 129 AO oder einen Fehler der Finanzbehörde bei der Tatsachenwürdigung oder Rechtsanwendung an.
Im Fall des § 175b AO führt eine wortgetreue Auslegung der Vorschrift nicht zu einem sinnwidrigen Ergebnis. Vielmehr entspricht diese Auslegung gerade den vom Gesetzgeber beabsichtigten Zielen, die sich aus der Gesetzesbegründung eindeutig ergeben. Das mit der Einführung des § 175b AO vom Gesetzgeber verfolgte Ziel bestand vornehmlich darin, der Finanzverwaltung in steuerlichen Massenverfahren eine Änderungsbefugnis einzuräumen, obwohl der von Dritten übermittelte Datensatz keinen (verbindlichen) Grundlagenbescheid darstellt und die bereits geltenden Änderungsnormen nicht einschlägig sind (BT-Drucks 18/7457, S. 88 f.).
Auf die Ursache der fehlerhaften Berücksichtigung der übermittelten Daten soll es nach der Gesetzesbegründung nicht ankommen.